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SRI AUROBINDO
Ausgesucht und übersetzt von Theodora Karnasch aus "Thoughts and Aphorisms" - "Karma", "Bhakti" (2 Aphorismen), "Jnana" (1 Aphorism), Sri Aurobindo Birth Centenary Library - Popular Edition Band 17 Die entsprechenden Seitennummer des englischen Textes wurden in Klammern angegeben. Sie sind auch für die unmittelbar darauf folgenden Zeilen ohne Seitennummer gültig.
WAS nützt dir bloßes Wissen? Ich sage dir: handle und sei; denn dazu hat Gott dich in diesen menschlichen Körper geschickt. (S.123) Was nützt dir bloßes Sein? Ich sage dir: werde; denn dazu bist du Mensch geworden in dieser Welt der Materie. Der Weg der Arbeit ist in gewisser Beziehung der schwierigste auf Gottes dreigleisiger Landstraße; aber ist er nicht auch gleichzeitig, zumindest in dieser materiellen Welt, der leichteste, weiteste und erfreulichste? Denn in jedem Augenblick stoßen wir mit Gott dem Arbeiter zusammen und wachsen durch tausend Berührungen mit dem Göttlichen in Sein Wesen hinein. (S.124) Zwei Arten von Werken gibt es, die Gott höchst wohlgefällig sind; in schweigender Anbetung den Boden Seiner Tempel zu fegen oder auf den Schlachtfeldern der Welt für Seine göttliche Vollendung in der Menschheit zu kämpfen. (S.143, "Bhakti") Das ist das Wunder auf dem Wege der Werke, dass sogar Feindschaft Gott gegenüber zum Mittel des Heils werden kann. Manchmal zieht und bindet Gott uns am schnellsten an sich, wenn Er als wilder, unbesiegbarer und unversöhnlicher Feind mit uns ringt. (S.124) Opfere immerzu, aber um Gottes und der Menschheit willen, nicht um des Opfers willen. (S.107) Beschränke dein Opfer nicht etwa darauf, nur irdischen Besitz hinzugeben oder einigen Wünschen und Begierden abzusagen, sondern lass jeden Gedanken, alles Handeln und alle Freude eine Opfergabe an Gott in dir sein. Wandle im Herrn, schlafe und wache in deinem Herrn. (S.122) Und wenn du zum Schluss all deine Gottesdienste zusammenzählst, dann wirst du herausfinden, dass dein größtes Werk in dem wenigen Guten liegt, das du versehentlich aus Liebe zu den Menschen getan hast. (S.142, "Bhakti") - 1 - Obwohl Gott alles gewollt und vorhergesehen hat, brauchst du doch nicht müßig herumzusitzen und auf Seine Vorsehung zu warten, denn dein Handeln ist eine Seiner wirksamsten Kräfte. Raffe dich also auf und handle, nicht aus Egoismus, sondern als Instrument der Umstände und als scheinbare Ursache des Geschehens, das Er vorherbestimmt hat. (S.93, "Jnana") Beeile dich, denn dein Ziel ist fern; verweile nicht grundlos, denn dein Meister wartet am Ende der Reise auf dich. (S.116) Weil du die Welt nicht haben konntest, hast du dich Gott zugewandt und greifst nach Ihm. Wenn die Welt schon starker ist als du, glaubst du, Gott sei schwächer? Unterwirf dich lieber Seinem Willen und bitte um die Kraft ihn erfüllen zu können. (S.109) Askese ist zweifellos sehr heilsam, eine Höhle sehr friedvoll und ein Berggipfel wunderbar angenehm; trotzdem sollst du in der Welt wirken, wie Gott es für dich vorgesehen hat. (S.115) Gott führt den Menschen, der Mensch verführt ihn; unsere höhere Natur gibt acht auf das Stolpern unserer niederen Sittlichkeit; da ist der verwirrende Widerspruch, dem wir entfliehen müssen in klares Wissen, in die Einheit mit dem Selbst, dem allein fehlerloses Wirken möglich ist. (S.105) Wenn Gott nicht die Last auf sich nähme, die Menschen zu versuchen, wäre die Welt längst in ewige Verdammnis geraten. (S.108) Lass, es dir gefallen, innerlich in Versuchung geführt zu werden, damit deine Leidenschaften sich im Kampf erschöpfen können. Gott lenkt am stärksten, wenn Er am schlimmsten in Versuchung führt, liebt grenzenlos, wenn Er grausam straft, hilft vollkommen, wenn Er sich uns leidenschaftlich widersetzt.
Wenn
du es Gott überlässt, dich zu reinigen, dann wird Er selbst das
Böse in dir erschöpfen; wenn du aber darauf bestehst, selbst die Führung in
der Hand zu behalten, wirst du in viele äußere Sünden fallen und vielen
- 2 - Wer hohe spirituelle Grade erreichen will, muss endlose Prüfungen bestehen. Die meisten Prüflinge aber sind nur ängstlich darauf bedacht, den Prüfer zu bestechen. (S.111) Jeder von uns hat noch eine Million Leben hier auf Erden vor sich. Warum also diese Hast, dieser Lärm und diese Ungeduld? (S.116) Ich bin der kindischen Ungeduld müde, die immer jammert, Gott lästert und das Ideal verleugnet, weil die goldenen Berge, nicht in einer kleinen Tagesreise oder in ein paar knappen Jahrhunderten erreicht werden können. Arbeite, als ob dein Ideal sich noch zu deinen Lebzeiten verwirklichen müsste, aber sei standhaft, als wüsstest du, dass der Preis jahrtausendelange Mühe ist. Was du nicht vor dem fünften Jahrtausend zu erwarten gewagt hast, mag morgen mit der Morgendämmerung aufblühen, und was du so erhofft hast und wonach dich gelüstet, mag dir erst in deiner hundertsten Wiederkehr bestimmt sein. Setze nicht Zeit noch Weg fest, wann oder wie dein Ideal sich erfüllen soll. Arbeite und überlasse Zeit und Weg dem allwissenden Gott. Beeile dich, denn dein Ziel ist fern; verweile nicht grundlos, denn dein Meister wartet am Ende der Reise auf dich. Richte deine Seele wunschlos auf das Ziel aus und halte mit Hilfe der göttlichen Kraft in dir an ihm fest, dann wird das Ziel selbst den Weg schaffen, ja, es wird sein eigener Weg werden. Das Ziel aber ist das absolute Göttliche, und das ist schon erreicht; erkenne es nur immer als das Göttliche, sieh es immer schon als deiner Seele innewohnend an. Lass nicht deinen Verstand, sondern deine göttliche Vorstellungskraft für dich planen. Wenn etwas auf dich zukommt, das getan werden muss, mach es zu deinem Ziel; denn dazu ist es in der Welt, reift und ist in deiner Seele schon vollendet. - 3 - Die Menschen sehen Geschichte als etwas Unvollendetes an, um die man sich bemühen und die man bewirken muss. Das ist falsch. Geschichte wird nicht bewirkt, sie entwickelt sich. Geschichte ist Gott, schon vollendet von Anbeginn, nur sich offenbarend in der Zeit. So wie das Licht eines Sternes uns erst Jahrhunderte nach seinem Verlöschen erreicht, so offenbart sich, was in Gott schon vollendet ist vor aller Zeit, in unserer materiellen Erfahrung erst jetzt. Wenn dein Herz dir erzählt: So und auf diese Weise und zu der Zeit wird es geschehen, glaube ihm nicht. Wenn es dir aber die Reinheit und Weite eines göttlichen Befehls erteilt, dann gehorche ihm. (S.110) Falle nicht zu schnell auf alle Stimmen herein; es gibt Geister, die auf der Lauer liegen und nur darauf warten, dich hereinzulegen, deshalb lass dein Herz rein sein, bevor du horchst. (S.111) Der Befehl mag dich auf dreierlei Weise erreichen: Als Wille und Glaube in deiner Natur, als dein Ideal, dem Herz und Verstand zugestimmt haben, oder als Seine oder Seiner Engel Stimme. Wenn du den Befehl bekommen hast, konzentriere dich darauf, ihn zu erfüllen. Der Rest, die Menschen nennen es Schicksal, Glück oder Zufall, ist Gottes Wille und Fügung. Wenn dein Ziel groß ist, handle, selbst wenn deine Mittel gering sind; denn durch Handeln allein können sie dir zuwachsen. Es gibt Zeiten, in denen Handeln töricht wäre oder unmöglich; dann ziehe dich in die strenge Zucht physischer Einsamkeit zurück oder nimm Zuflucht zu deiner Seele und warte auf das göttliche Wort oder die Offenbarung. In Gottes Augen gibt es nichts Kleines; lass auch in deinen Augen nichts klein sein. Er widmet dem Aufbau einer Muschel genauso viel göttliche Energie wie dem eines Imperiums. Es ist deshalb größer, ein guter Schuhmacher zu sein als ein verschwenderischer und unfähiger König. (S.118) - 4 - Nicht das Ergebnis ist der Zweck des Handelns, sondern das ewige Entzücken Gottes, zu werden, zu sehen und zu schaffen. Du sagtest, du könntest getäuscht werden, möglicherweise sei es eine andere als Gottes Stimme, die dich führe? Und doch weiß ich, dass Er die nicht aufgibt, die Ihm vertraut haben, wenn sie auch unwissend sind, und ich habe gefunden, dass Er gerade dann weise führt, wenn Er in die Irre zu führen scheint, und ich würde lieber in die Falle des lebendigen Gottes gehen, als gerettet werden durch das Vertrauen in einen toten Buchstaben. (S.123) Verwirrend ist der Weg des Wirkens in der Welt. Wenn Rama, der Awatar, Vali tötete, oder Krischna, der Gott selbst war, seinen Onkel, den Tyrannen Kansa ermordete, um sein Volk zu befreien, wer könnte sagen, ob das gut oder böse war? Ganz sicher aber können wir sagen, dass sie göttlich handelten. (S.119) Wer nicht töten will, wenn Gott es befiehlt, fügt der Welt unberechenbaren Schaden zu. (S.107)
Die
Menschen töten aus unbeherrschbarem Zorn, aus Hass oder Rache; das wird einmal
auf sie zurückfallen und sie werden es erleiden müssen. Achte menschliches Leben solange du kannst, aber achte das Leben der Menschheit höher. Die Menschen in der Welt haben zwei Leitsterne, die Pflicht und das Gesetz; wer aber zu Gott hinübergewechselt hat, der hat beide hinter sich gelassen und ersetzt durch Gottes Willen. Wenn die Menschen dich deswegen schmähen, o göttliches Werkzeug, kümmere dich nicht darum, sondern geh deinen Weg wie der Wind oder die Sonne, Leben spendend oder Leben zerstörend. (S.109) Betrachte die Welt als Gottes Bühne; sei du die Maske des Schauspielers und las Ihn durch dich spielen. Wenn die Menschen dich loben oder auspfeifen, wisse, dass auch sie Masken sind; und lass Gott allein in dir dein Kritiker und dein Zuschauer sein. - 5 - Nicht um menschlichen Ruhmes willen nahm Gott dich zu eigen, sondern damit du furchtlos Sein Gebot erfüllest. Kümmere dich nicht um Zeit und Erfolg. Spiele deine Rolle, ohne Rücksicht auf Erfolg oder Misserfolg. (S.111) Misstraue dem Menschen, der niemals Misserfolg hatte oder der niemals litt; folge nicht seinem Glück und kämpfe nicht unter seiner Flagge. (S.115) Die Menschen jagen dem Erfolg nach; wenn sie aber Glück haben, bleibt er aus, weil die Weisheit und Kraft der Natur stärker sind als die Gescheitheit ihres Verstandes. Gott allein weiß, wann und wie Er aus Weisheit einen Fehler begehen und wann Er wirksam versagen kann. Du sagst, du habest versagt. Sage lieber, Gott umkreist seine Beute. Wenn du glaubst, dass die Niederlage dein Ende bedeutet, dann ziehe nicht aus in den Kampf, selbst wenn du der Stärkere bist. Denn das Schicksal lässt sich von niemandem bestechen, noch ist die Macht gebunden an jene, die sie besitzen. Und Niederlage ist nicht das Ende, sie ist nur ein Tor oder ein Beginn. (S.109) Wenn Krischna ganz allein auf der einen Seite stünde und die bewaffnete und organisierte Welt mit ihren Armeen, Kanonen und Doktrinen, auf der anderen Seite, wähle trotzdem deinen Gott allein. Kümmere dich nicht darum, ob die Welt über dich hinweg rollt, ihre Waffen dich in Stücke reißen und ihre Kavallerie deine Glieder am Straßenrand zu Brei zertrampelt; dein Denken war immer nur Schein, dein Körper immer nur ein Kadaver. Der Geist wird, von allen seinen Hüllen befreit, sich erheben und triumphieren. Solange eine gute Sache auch nur eine Seele auf ihrer Seite hat, deren Glaube unerschütterlich ist, solange kann ihr niemand beikommen. (S.110) Es gibt Zeiten, in denen Gott unerbittlich auf Seiten der Vergangenheit zu stehen scheint; dann sitzt alles, was war und ist, fest wie auf einem Thron und umhüllt sich mit einem unwiderruflichen "Ich werde sein". Dann halte durch, obwohl du gegen den Herrn zu kämpfen scheinst; denn das ist seine härteste Versuchung. (S.111) - 6 - Es ist noch nichts verloren, wenn etwas menschlich aussichtslos und hoffnungslos aussieht; aber alles ist verloren, wenn die Seele ihre Bemühungen aufgibt. Dreimal hat Gott über Schankara gelacht: Das erste Mal, als er dazu zurückkehrte, die Leiche seiner Mutter zu verbrennen, das zweite Mal, als er die Ischa Upanischade auslegte und das dritte Mal, als er über Indien hinwegbrauste und das Nicht-Handeln predigte. (S.115) O Soldat und Held Gottes, wo gibt es für dich Kummer oder Schande oder Leid; dein Leben ist Ruhm, deine Taten sind Weihe, deine Siege verherrlichen dich, und deine Niederlage ist dein Triumph. (S.112) Kämpfe, solange deine Hände frei sind, mit deinen Händen und deiner Stimme und deinem Verstand, kurz, mit allen deinen Waffen. Hat dein Feind dich aber in seinen Verliesen in Ketten gelegt und durch seine Knebel zum Verstummen gebracht, dann kämpfe mit deiner schweigenden, alles besiegenden Seele und mit deiner weitreichenden Willenskraft; und wenn du erschlagen bist, kämpfe weiter mit der weltumspannenden Macht, die Gott dir eingab. (S.111) Du hältst den Asketen in seiner Höhle oder auf seinem Berggipfel für ein Denkmal und einen Nichtstuer. Was weißt du von ihm? Vielleicht erfüllt er die Welt mit den mächtigen Strömen seines Willens und verändert sie durch den Druck seiner Seelenkraft. (S.112) Was der Freie auf dem Gipfel des Gebirges in seiner Seele sieht, das verkünden die Propheten in der materiellen Welt, und die Mutigen beeilen sich, es auszuführen.
Die
französische Revolution konnte stattfinden, weil eine Seele auf den
Schneegipfeln des Alles Vollkommene in Wort und Tat stammt aus der Tiefe ewigen Schweigens. - 7 - In den Tiefen der Weltmeere gibt es keine Stürme mehr, nur an der Oberfläche lärmen die jauchzend landwärts donnernden Wogen; genauso ist es mit der befreiten Seele inmitten turbulenter Aktion, sie handelt nicht, sie atmet nur überwältigende Tatenfülle aus. In deiner Seele ist Reinheit; und was das Handeln anbetrifft, wo gibt es da Reinheit oder Unreinheit? (S.113) Das Genie ist der erste Versuch der Natur, den gefangenen Gott aus seiner menschlichen Form zu befreien, die Form aber leidet bei diesem Prozess. Es ist erstaunlich, dass es dabei so wenige und so unbedeutende Risse gibt. (S.106) Um den genialen Menschen sei immer etwas Abnormes und Exzentrisches, heißt es. Das stimmt, stellt er doch ein anomales Geschöpf dar, das nichts mehr mit der gewöhnlichen Natur des Menschen gemein hat. Nachahmung ist manchmal ein gutes Schulschiff; es wird aber niemals die Flagge des Admirals tragen. (S.119) Es ist richtig, nicht zu ausgelassen lustig in seinen Spielen und nicht zu grimmig ernst in seinem Leben und Arbeiten zu sein. Wir streben in beidem nach spielerischer Freiheit und ernster Ordnung. (S.125) Es ist leicht, das Unheil zu erkennen, das durch Sünde und Laster verursacht wurde; das geübte Auge aber sieht auch das Unheil, das durch Selbstgerechtigkeit oder selbstgefällige Tugend verursacht wird. (S.121) Selbstverleugnung ist ein mächtiges Instrument für die Läuterung, aber kein Ziel an sich, und auch kein höchstes Lebensideal. Dein Ziel soll sein, Gott in der Welt zu dienen, nicht dich selbst abzutöten. - 8 - Ehre das Kleid des Asketen, aber schau dir auch den Träger an, damit nicht Heuchelei die heiligen Plätze einnehme und innere Heiligkeit Legende werde. (S.120) Die Menschheit hat zwei mächtige Waffen angewandt, ihre eigene Kraft und Freude zu zerstören, das sind falsche Nachgiebigkeit und falsche Enthaltsamkeit. (S.125) Viele streben nach Macht und Reichtum, und nur wenige umarmen die Armut als Braut; du aber sollst ganz allein Gott suchen und umarmen und es Ihm überlassen, für dich einen Königspalast oder die Schale des Bettlers zu wählen. (S.120) Sei immer auf der Hut vor deiner menschlichen Neigung, die Wirklichkeit zu verjagen oder sie zu ignorieren, während du ihr Abbild oder ihr Symbol verehrst. Nicht die menschliche Bosheit, sondern die menschliche Fehlbarkeit kommt dem Teufel gelegen. Die Menschen rennen hinter dem Vergnügen her und drucken diese erregende Braut fiebernd an ihr gequältes Herz; derweil steht eine göttliche und unauslöschliche Seligkeit hinter uns und wartet nur darauf, gesehen, ersehnt und erobert zu werden. (S.122) Die Menschen jagen hinter banalen Erfolgen und nichtssagenden Meisterschaften her, die ihnen nur Erschöpfung und Schwache einbringen; inzwischen wartet die ganze unendliche Kraft Gottes im Universum vergeblich darauf, von ihnen in Anspruch genommen zu werden. Macht ist edel, wenn sie über Zorn erhaben ist; Zerstörung ist großartig, verliert aber ihre Größe, sobald sie der Rachsucht entspringt. Lass sie hinter dir, denn sie gehören einer niedrigeren menschlichen Entwicklungsstufe an. (S.104) Hass ist ein Schwert der Macht, aber ein zweischneidiges. Er ist wie der Zauberfluch der alten Magier, der im Zorn auf den zurückfallt, der ihn ausgeschickt hat, wenn er sich seiner Beute beraubt sieht. (S.106) - 9 - Hasse den Tyrannen nicht, denn dein Hass wird seine Kraft nur stärken, wenn er stark ist; ist er aber schwach, wozu dann dein Hass? Die Menschen sprechen von Feinden, aber ich sehe keine. Ich sehe bloß Kämpfer verschiedener Parteien in der großen Arena des Weltalls. Die mittelalterlichen Asketen hassten die Frauen und glaubten, Gott habe sie erschaffen, um die Mönche zu versuchen. Erlaube mir, sowohl über Gott wie auch über die Frauen edler zu denken. (S.115) Wenn eine Frau dich in Versuchung gebracht hat, ist das ihr Fehler oder deiner? Sei kein Narr und betrüge dich nicht selbst. Es gibt zweierlei Art, der Verführung durch die Frauen zu entgehen: die eine ist, alle Frauen zu meiden, die andere ist, alle Wesen zu lieben. Die modernen Menschen brauchen die Technik, weil sie hoffnungslos barbarisch sind. Wenn wir uns schon mit diesem verwirrenden Überfluss an Bequemlichkeit und Luxus umgeben müssen, dann müssen wir auf die Kunst und ihre Methoden verzichten; auf Einfachheit und Freiheit verzichten aber heißt, auf Schönheit verzichten. Der Luxus unserer Vorfahren war reich und sogar fabelhaft, aber niemals überladen. (S.125) Ich kann die barbarische Bequemlichkeit und die überladene Protzigkeit europäischen Lebens nicht Zivilisation nennen. Nur Menschen, die innerlich frei sind und im ausgewogenen Gleichgewicht ihrer Verhältnisse leben, sind zivilisiert. Kunst überwuchert heutigentages das ganze Leben oder ist zum überflüssigen Lakaien herabgesunken, sollte aber der unentbehrliche Festordner beim Fest des Lebens sein. - 10 - Bewundere nicht nur Heilige und Engel als Gottheiten, sondern auch den Titanen und den Riesen. (S.106) Die alten Schriften sprechen von Titanen als den älteren Göttern. Das sind sie auch, und kein Gott ist ganz und gar Gott, wenn nicht auch der Titan in ihm verborgen ist. Wenn ich nicht Rama sein kann, dann will ich Rawana sein; er ist Wischnus dunkle Seite. (S.107)
Wenn dein Herz verwirrt ist und du lange Zeit keine Fortschritte machst, wenn deine Kräfte schwinden und du voller Reue bist, erinnere dich immer der ewigen Worte unseres Geliebten und Herren: "Ich werde dich frei machen von aller Sünde und allem Übel; also sorge dich nicht." Nenne nicht alles böse, was die Menschen böse nennen, weise nur das zurück, was Gott zurückgewiesen hat; heiße nicht alles gut, was die Menschen gutheißen, nimm nur das an, was Gott angenommen hat. (S.109) Was ist Laster anders als eine versklavende Gewohnheit und Tugend anders als eine menschliche Meinung? Schau auf Gott und tu Seinen Willen, gehe den Pfad, den Er dir vorschreibt. (S.120) Müde geworden der Kraft und Freude haben die Menschen Leiden und Schwache Tugenden genannt, müde des Wissens haben sie Unwissenheit heilig gesprochen, müde der Liebe haben sie Herzlosigkeit Aufklärung und Weisheit geheißen. (S.113) Wenn dein Gemüt bereit ist, sich in Depressionen und Schwäche zu verlieben, denke: "ich bin Bacchus und Ares und Apollo; ich bin das Feuer, rein und unbesiegbar; ich bin die Flamme, die immer mächtig lodernde". - 11 - Wer konnte dich erschlagen, o unsterbliche Seele? Wer könnte dich quälen — o ewig seliger Gott? Du musst lernen, alle Götter in dir zu tragen und niemals unter ihrem Ansturm zu taumeln oder unter ihrer Last zusammenzubrechen. (S.113) Schau dir diese entrüsteten Gerechten an. Es wird nicht lange dauern, bis sie dasselbe Unrecht, das sie so streng verurteilt haben, selbst begehen oder zulassen werden. (S.114) Es gibt viele Arten des Losgelöstseins. Ich sah einen Feigling seine Wange dem Schlag hinhalten. Ich sah, wie ein körperlich Schwacher von einem stämmigen Raufbold, der sich für etwas Besseres hielt, geschlagen wurde und seinen Angreifer ruhig und fest anschaute; ich sah den fleischgewordenen Gott liebevoll jene anlächeln, die ihn steinigten. Das erste war lächerlich, das zweite, schrecklich, das dritte göttlich und verehrungswürdig. (S.113) Es gibt wenig wirkliche Heuchelei unter den Menschen", sagst du. Das stimmt, aber es gibt eine Menge Diplomatie und noch mehr Selbstbetrug. Vom letzten gibt es drei Varianten: Den bewussten, den unterbewussten und den halbbewussten; der dritte aber ist der gefährlichste. (S.114) Es ist edel, deinen eigenen Beleidigern zu verzeihen, nicht so edel, das Unrecht zu verzeihen, das anderen angetan wurde. Trotzdem verzeihe auch jenen, notfalls aber strafe sie ungerührt. Gott wird der Menschheit Seligkeit; erlange dieses höchste Gut zunächst für dich selbst, damit du es dann ganz an deine Nächsten austeilen kannst. (S.105) - 12 - Wie soll ich wissen, was Gott mit mir vorhat? - Ich muss allen Egoismus ablegen, aus jedem Schlupfwinkel und jeder Höhle verjagen und dann meine gereinigte und nackte Seele in Seinem unendlichen Einfluss baden; dann wird Er selbst sich mir enthüllen. (S.121) Rühme dich nicht deines Reichtums und suche nicht die Bewunderung der Menschen für deine Armut und Selbstverleugnung; beides ist nur grobe oder feine Nahrung für den Egoismus. Wer allein für sich selbst etwas erwerben will, erwirbt Übles, auch wenn er es Himmel und Tugend nennt. (S.105) Im allgemeinen ist Altruismus nichts anderes als eine sublime Form des Egoismus. (S.107) Altruismus, Pflichterfüllung, Familie, Vaterland und Menschheit: Das sind Gefängnisse der Seele, wenn sie nicht ihre Werkzeuge sind. Altruismus ist gut für den Menschen, nicht aber, wenn er zu einer Form höchster, Selbstbefriedigung wird, die davon lebt, dem Egoismus der anderen zu frönen. (S.121) Durch Altruismus kannst du deine Seele retten; gib aber acht, dass du sie nicht rettest auf Kosten der Seligkeit deines Bruders.
* * *
Der Atheismus ist ein notwendiger Protest gegen die Gottlosigkeit der Kirchen und die Enge ihrer Dogmen. Gott benutzt ihn als Stein, um diese beschmutzten Kartenhäuser zu zerstören. (S.108) Wie viel Hass und Dummheit die Menschen doch, elegant verpackt, Religion nennen können! - 13 - Bevor du über jemanden spottest, schau in dein eigenes Herz und lache lieber über deine eigene Albernheit. (S.114) Lass dich nicht täuschen, wenn die Menschen ihre Tugenden zur Schau stellen, noch anekeln, wenn du ihre offenen oder heimlichen Laster siehst. Das sind notwendige Nebenerscheinungen in einer langen Übergangsperiode der Menschheitsentwicklung. (S.114) Bemühe dich nicht um jene Tugenden, die von den Menschen gepriesen oder belohnt werden, sondern um jene, die dich zur Vollkommenheit führen und die Gott von deiner Natur verlangt. (S.107) Adel und Großmut sind der Himmel der Seele; ohne sie sieht sie aus wie ein Insekt in einem Käfig. (S.107) Mut und Liebe sind die einzigen unerlässlichen Tugenden; selbst wenn alle anderen verschwunden oder eingeschlafen sind, werden diese beiden das Leben der Seele retten. (S.107) Gemeinheit und Selbstsucht sind die einzigen Sünden, die zu verzeihen mir schwer fällt; und doch sind gerade sie fast in der ganzen Welt zu finden. Deshalb dürfen wir sie auch nicht in anderen hassen, sondern sollen sie in uns selbst vernichten. (S.107) Lass dich nicht abstoßen von der Verderbtheit der Welt; die Welt ist wie eine verwundete Giftschlange, die sich ihrer vorbestimmten Häutung und Vollkommenheit entgegenwindet. Warte geduldig, denn es handelt sich um einen göttlichen Wettkampf; aus dieser Niedrigkeit wird leuchtend und triumphierend, Gott auftauchen. (S.114) Warum schreckst du vor einer Maske zurück? Hinter ihrer abstoßenden, grotesken oder schrecklichen Erscheinung lacht Krischna über deinen närrischen Ärger, über deinen Spott oder Ekel, der noch alberner ist, und über das alleralbernste, dein Entsetzen. - 14 - Zuerst herrschte der Priester durch Bücher und Riten, dann der Krieger durch Schwert und Schild; jetzt herrscht der Kaufmann durch Technik und Kapital, und der Arbeiter, der befreite Sklave, drängt bereits nach vorn mit seiner Doktrin vom Königreich der vereinigten Proletarier. Der wahre Herrscher der Menschheit aber ist weder der Priester noch der König, weder der Kaufmann noch der Arbeiter; die Tyrannei von Hammer und Sichel wird enden, wie alle vorangegangenen Tyranneien. Erst wenn der Egoismus stirbt und Gott im Menschen sich in seiner eigenen menschlichen Gesamtheit regiert, kann diese Erde eine glücklichere und zufriedene Menschheit beherbergen. (S.122) Regierungen, Gesellschaften, Könige, Polizei, Richter, Institutionen, Kirchen, Gesetze, Sitten und Armeen sind zeitbedingte Notwendigkeiten, die uns für ein paar Jahrhunderte auferlegt worden sind, weil Gott sein Angesicht vor uns verhüllt hat. Wenn Es uns wieder in all seiner Wahrheit und Schönheit erscheint, werden sie in diesem Lichte verschwinden. (S.117) Anarchie ist der wahrhaft göttliche Zustand für den Menschen, und zwar letztlich wie auch ursprünglich; zwischendrein aber würde sie uns geradewegs zum Teufel und seinem Königreich führen. Das Prinzip einer kommunistischen Gesellschaft ist an sich dem der individualistischen genauso überlegen wie Brüderlichkeit der Eigensucht und dem gegenseitigen Abschlachten; aber all die praktischen Gesellschaftsentwürfe, die in Europa erfunden wurden, haben nichts als Sklaverei, Tyrannei und Gefängnis gebracht. Wenn der Kommunismus sich jemals erfolgreich auf der Erde durchsetzen will, dann muss er auf der Brüderlichkeit der Seele beruhen und auf allen Egoismus verzichten. Eine erzwungene Verbrüderung und eine mechanische Kameradschaft würde in einem weltweiten Fiasko enden. Reif zu Größe und Freiheit ist weder der Mensch, der nie der Sklave eines anderen gewesen ist noch die Nation, die niemals unter dem Joch der Fremdherrschaft gestanden hat. (S.115) - 15 - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" riefen die französischen Revolutionäre; in Wirklichkeit ist bloß Freiheit praktiziert worden mit einer geringen Beimischung von Gleichheit; aber Brüderlichkeit? Es wurde nur eine Bruderschaft des Kains gegründet - und des Barabas. Manchmal nennt sie sich ein Kartell oder ein Trust oder, möglicherweise, das Vereinte Europa. (S.117) "Da Freiheit ein Fehlgriff war, lasst uns Freiheit und Gleichheit zusammen ausprobieren", fordern die fortschrittlichen Denker Europas, "oder, da die beiden ein bisschen schwierig zu vereinen sind, nur Gleichheit anstelle der Freiheit. Denn Brüderlichkeit, die ist unmöglich; wir wollen sie durch industrielle Kooperation ersetzen." Aber auch dieses Mal wird Gott sich nicht betrügen lassen. Indien, besaß drei Grundfesten eines Gemeinschaftslebens: die Dorfgemeinschaft, die Großfamilie und den Orden der Bettelmönche; alle drei sind zerstört worden oder zerbrechen im Laufe der Entwicklung egoistischer Konzeptionen des sozialen Lebens; aber ist das nicht letztlich nur das Zerbrechen unvollkommener Formen auf dem Wege zu einem weiteren und göttlicheren Kommunismus? (S.118) Ergreife in den Konflikten der Welt weder die Partei des Reichen noch die seines Reichtums, weder die des Armen noch die seiner Armut, weder die des Königs noch die seiner Macht und Majestät, weder die des Volkes noch die seiner Hoffnung und seiner Leidenschaft, sondern sei immer auf der Seite Gottes. Es sei denn, Er hatte dir befohlen, gegen Ihn zu kämpfen ! Dann tue das mit deinem ganzen Herzen und mit all deiner Kraft und Leidenschaft. (S.120) Dass die Reaktion den Fortschritt beschleunigt und ihn vollendet, indem sie die ihm innewohnende Kraft anwachsen lässt und reinigt, das sieht die Menge der Schwächlinge nicht. Sie verzweifelt, wenn das Schiff, hilflos vor dem Sturmwind fliehend, den Hafen nicht erreichen kann, während es doch nur, vom Regen eingehüllt, auf den Wogen des Ozeans dem Hafen entgegen treibt, den Gott ihm bestimmt hat. (S.119) Die Welt hat allenfalls ein halbes Dutzend erfolgreiche Revolutionen erlebt, und selbst unter diesen sehen die meisten eher nach Fehlschlagen aus; und doch sind es die großen und edlen Fehlschläge, die die Menschheit vorwärts bringen. (S.108) - 16 - Zerbrich die Formen der Vergangenheit; ihren Geist und ihren Genius aber erhalte, denn sonst zerschlägst du dir die Zukunft. Revolutionen schlagen die Vergangenheit in Stücke und warfen sie in den Kochtopf; was aber dann herauskommt, das ist der alte Aeson, nur in neuem Gewande. Nicht gemeinsames Blut, gemeinsame Sprache oder gemeinsame Religion schaffen eine Nation; das sind lediglich wichtige Hilfen und mächtige Vorteile. Eine Nation existiert bereits da, wo Menschengemeinschaften nicht durch familiäre Bande, sondern durch das gleiche Empfinden und die gleiche Sehnsucht vereint sind, um ein gemeinsames Erbe ihrer Vorfahren zu verteidigen oder eine gemeinsame Zukunft für ihre Nachkommenschaft zu sichern. (S.118) Nationalität ist ein Schritt, den der Gott des Fortschritts über die Stufe der Familie hinaus tut; deshalb muss das Festhalten an Klan und Stamm schwacher werden und ganz verschwinden, bevor eine Nation entstehen kann. Familie, Nation, dann Menschheit, das sind die drei großen Schritte des göttlichen Bewusstseins von einer isolierten zu einer kollektiven Einheit. Der erste ist geglückt, auf die Vollendung des zweiten gehen wir noch zu, nach dem dritten aber strecken wir bereits unsere Hände aus, und die Pionierarbeit hat schon begonnen. (S.119) Angesichts der gegenwärtigen Moral der Menschheit ist ihre gesunde und dauerhafte Einigung noch nicht möglich; warum aber sollte nicht konzentrierte Sehnsucht und unermüdliche Bemühung mit einer zeitweisen Annäherung an das Ideal belohnt werden, denn so arbeitet doch die Natur: durch dauernde Annäherungen erreicht sie teilweise Verwirklichungen und zeitweiligen Erfolg. Die Demokratie resultierte aus dem Protest der menschlichen Seele gegen die vereinte Tyrannei von Alleinherrschern mit Priesterschaft und Adel, der Sozialismus aus dem Protest der menschlichen Seele gegen die Tyrannei einer kapitalistischen Demokratie; im Anarchismus aber protestiert wohl die menschliche Seele gegen die Tyrannei des bürokratischen Sozialismus. Das ist das Bild, das der europäische Fortschritt bietet — ein stürmischer und ungeduldiger Marsch von Illusion zu Illusion und von Fehlschlag zu Fehlschlag. (S.119) - 17 - Demokratie in Europa, das ist die Herrschaft von Ministern, korrupten Abgeordneten oder egoistischen Kapitalisten hinter der Maske einer gelegentlichen Souveränität launischer Massen. Sozialismus in Europa bedeutet eher die Herrschaft der Funktionäre und der Polizei hinter der Maske einer theoretischen Souveränität eines abstrakten Staates. Müßig sich zu fragen, welches System das bessere sei; es wäre sogar, schwierig, zu entscheiden, welches das schlechtere ist. (S.120) Der Vorteil einer Demokratie liegt in der Sicherheit des Lebens, der Freiheit und des Besitzes der Einzelnen gegenüber den Launen eines Tyrannen oder der Begierde einer Minderheit, sein Nachteil aber liegt im Verlust an menschlicher Größe. (S.120) Die irrende Menschheit träumt immerzu davon, ihre Umstände durch den Mechanismus einer Regierungsform und eines Gesellschaftssystems zu verbessern; die äußeren Umstände können aber nur von innen her durch das Wachsen der Seele verbessert werden. Was du innerlich bist, dessen wirst du dich äußerlich erfreuen; kein Mechanismus kann dich von dem Gesetz deines Wesens befreien. Das Individuum ist erst vollkommen, wenn es alles, was es jetzt noch sein eigenes Wesen nennt, an das göttliche Wesen hingegeben hat. So wird es auch erst dann eine vollkommene Gesellschaft geben, wenn die Menschheit alles was sie hat, Gott hingegeben hat. (S.118) O Tod, unser maskierter Freund, du hast die Umstände in der Hand; wenn du das Tor öffnen willst, versäume nicht, es uns vorher zu sagen; denn wir gehören nicht zu jenen, die bei seinem eisernen Quietschen erzittern. (S.113) Der Tod ist manchmal ein roher Geselle, aber wenn er uns dieses irdische Kleid eintauscht gegen ein lichteres Gewand, kann man ihm seinen groben Unfug und seine Rüpelhaftigkeiten verzeihen. Was ist denn das, was du Tod nennst? Kann Gott sterben? Auch du, der du den Tod fürchtest, sieh doch nur, was zu dir gekommen ist, mit dem Totenkopf spielt und die Maske des Schreckens trägt, das ist das Leben. (S.124) - 18 - Soll ich den Tod akzeptieren, oder soll ich mich umdrehen, mit ihm ringen und ihn erobern? Es sei, wie Gott in mir entscheidet. Denn ich bin ewig, ob ich auch lebe oder sterbe. Es gibt Mittel, körperliche Unsterblichkeit zu erlangen. Wir sterben aus eigener Wahl, nicht weil die Natur uns zwingt. Denn wer würde schon gerne ein Kleid jahrhundertelang tragen, oder in immer der gleichen engen Wohnung in aller Ewigkeit eingeschlossen sein? Die Dichter machen viel Aufhebens um Tod und äußere Leiden; die einzig wirklichen Tragödien handeln von Misserfolgen der Seele, und das einzige wirkliche Epos des Menschen erzählt von seinem triumphalen Aufstieg zur Göttlichkeit. (S.105) Wir lachen über den Glauben des Wilden an seinen Medizinmann; aber ist die zivilisierte Welt weniger abergläubisch in ihrem Glauben an die Ärzte? Der Wilde hat gelernt, dass er nicht selten von einem bestimmten Übel geheilt wurde, wenn eine bestimmte Zauberformel wiederholt aufgesagt wurde; also glaubt er daran. Der zivilisierte Patient hat gelernt, dass er nicht selten von einem bestimmten Übel geheilt wird, wenn er eine bestimmte Arznei in bestimmter Dosis nimmt; also glaubt er daran. Wo ist da der Unterschied? (S.126) Es würde lange dauern, heute die Medizin durch die eigene Heilkraft zu ersetzen, weil die medizinische Wissenschaft unserem Verstand und unserem Körper einerseits Furcht und Selbstmisstrauen und andererseits das unnatürliche physische Vertrauen auf Medikamente beigebracht hat, was uns zur zweiten Natur geworden ist. (S.128) Medikamente heilen, wenn sie den Körper nicht nur stören oder vergiften, aber nur dann, wenn ihr Angriff auf die Krankheit durch die Kraft des Geistes unterstützt wird; wenn die gleiche Kraft dazu gebracht werden kann, frei zu wirken, werden die Medikamente sofort überflüssig. - 19 - Gott in uns ist unendlicher und sich selbst erfüllender Wille. Kannst du lhm, unberührt von der Furcht vor dem Tode, nicht nur als Experiment, sondern mit ruhigem und vollem Vertrauen deine Leiden überlassen? Dann wirst du feststellen, dass Er geschickter ist als eine ganze Million Doktoren. (S.127) Der Geist in uns ist der einzige allmächtige Arzt, und das einzige wahre Allheilmittel heißt, sich ihm zu unterwerfen. Verwandle alle Dinge in Honig; das ist göttliches Leben. (S.115) - 20 - |