20. Oktober 1965
(Satprem hatte in einem Brief darüber geklagt, dass er nie Erfahrungen habe und insbesondere dass er Sri Aurobindo nie sehen konnte, außer einmal vor elf Jahren, und dass selbst Mutter ihm gesagt hatte, auch sie sehe ihn nur selten. Am Schluss schrieb er: "Ich frage mich, was ich hier eigentlich tue?") Nur keine Bange, ich werde dich nicht fressen!
(abwehrende Geste von Satprem) Sag mir, hast du dem nichts hinzuzufügen? Hat sich nichts ereignet, seitdem du mir geschrieben hast?... Nichts. Befindest du dich noch immer im gleichen Zustand?
Aha!
Das ist die egoistische Entstellung der Aspiration. Es ist eine enge Nabelschau, die nach Befriedigung dürstet. Ich sage dir das unverblümt, denn es nützt nichts, darum herumzureden. (Schweigen) Als du im Krankenhaus warst, befand ich mich mehrere Nächte lang in einer ständigen Konzentration, um... Intellektuelle würden diese Vorgehensweise als kindisch bezeichnen, mir aber erscheint sie als die beste: ich wende mich an den Herrn und bitte Ihn mit der ganzen Inbrunst meines Bewusstsein. Genauso bat ich Ihn, dein Leben, das in Gefahr war, zu retten, mit dem Wissen um die Ursache und darum, was dich heilen würde. Ich ließ erst davon ab, als eine Art Gewissheit eintrat, dass es gut gehen würde. Vor nicht allzu langer Zeit, vielleicht vor ein paar Wochen, sah ich klar, dass etwas nicht in Ordnung war, aber ich ließ nicht locker und hoffte, dass es nur eine aus dem Unterbewusstsein aufwallende Erinnerung sei... Das darf nicht mehr sein, mein Kind! Du bist über dieses Stadium hinaus. Hier hast du es wirklich mit einer Dunkelheit zu tun, der du nicht mehr angehörst. Sie ist NICHT deine Natur, sondern etwas, das deiner Natur aufgezwungen wurde - aufgrund vieler, vieler Dinge. X sagt, dass es aus einem früheren Leben herrühre, aber diese Geschichten... Ich sehe sehr wohl gewisse Dinge, aber sie haben keine besondere Bedeutung. Wenn man sich im wahren Licht befindet, ist es relativ leicht, alle diese Dinge zu klären. Du musst das abschütteln, mein Kind! Du musst. Du warst und bist noch immer irgendwo in deinem Wesen im vollen Licht. Ich habe dir bereits gesagt, dass ein enger Zusammenhang zwischen Sri Aurobindos Licht und deiner schriftstellerischen Ausdrucksfähigkeit besteht. Das darfst du nicht vergessen.
Außerdem ist da all das, was ich dir kürzlich über diese Phase in der Entwicklung sagte, aufgrund der äußerlich... Ja, ich bekomme von allen Leuten zu hören: "Warum ändern Sie das nicht? Warum befreien Sie mich nicht davon? Warum räumen Sie mir das nicht aus dem Weg?..." Im Augenblick ist mir nicht die Macht gegeben, sofort auf die Dinge einzuwirken. Ich weiß nicht warum. Aber jedesmal, wenn es nötig ist einzugreifen, übergebe ich alles dem Herrn und sage Ihm: "Tue Du es". (Schweigen) Ich sehe sehr wohl, dass es eine Entstellung der Aspiration ist. In deinem Bewusstsein - deinem materiellsten Bewusstsein - herrscht der Eindruck, es sei eine Aspiration, eine unerfüllte Aspiration, wie du es selbst nennst, aber du hast nicht begriffen, dass du genau aufgrund der Entstellung deiner Aspiration die Antwort nicht spürst, obgleich sie da ist - und nicht nur die Antwort, sogar eine Aktion.
Ihn zu sehen? Mit welchem Teil deines Wesens? Du kannst ihn nicht physisch sehen.
Manche Leute haben ihn noch nie gesehen, seitdem er physisch gegangen ist. Aber es ist nicht notwendig, ihn zu sehen, um seine Gegenwart zu spüren.
Es geht nicht darum zu sehen, sondern zu spüren.
Aber nein, es ist keine Frage der Einbildung. Du bist noch schrecklich von deinem Körper abhängig.
Ja, ich ebenfalls!
(langes Schweigen) Im Grunde beklagst du dich darüber, dass du nicht lieben kannst.
Nicht lieben zu können. Nicht für die Liebe offen zu sein. Aber das hängt von nichts außerhalb deiner selbst ab. Es hängt ausschließlich von dir ab.
Sehen... Sehen, es geht nicht ums "Sehen"! Es ist keine Frage des Sehens. Man kann sehen und trotzdem nicht lieben. Daran liegt es nicht. Es ist eine Tür, die noch verschlossen ist. Du sprichst von sehen, weil du noch hier zu lieben versuchst (Mutter deutet an die Stirn). Du weißt es nicht, aber ich weiß es. Du versuchst, hier zu lieben, und so sprichst du von sehen. Aber man liebt nicht hier. Man braucht jemanden nicht zu sehen, um ihn zu lieben. Das ist nicht wahr. Wenn mich jemand fragt: "Hast du den Herrn gesehen?", dann kann ich nicht auf menschliche Art sagen, ich hätte den Herrn gesehen. Dennoch ist Er da, ja! Er ist da, und Er ist die vollkommene Liebe. Er ist da, und Er ist die vollkommene Macht. Er ist da, und Er ist die Essenz der wahren Liebe, und ohne diese Schwingung weiß man nicht, was es heißt zu lieben, man ist unfähig dazu. Solange man nicht alle egoistischen, persönlichen Begrenzungen zurückweist, kann man Ihn nicht lieben.
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ISBN 3-920083-06-4
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